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Paukenschläge
Thema:  Eine kurze Geschichte über ein traumatisches Urlaubserlebnis

„Sieh mal, hier läuft so eine Sendung im Fernsehen mit alten Werbespots und gerade lief einer, den ich seinerzeit entwickelt habe.“

Meine Frau, die neben mir auf dem Sofa sitzt, legt ihr Buch beiseite und sieht auf den Bildschirm. Doch mein eigener Blick verschwimmt plötzlich, projiziert längst vergangene Tage vor meine Augen und versetzt mich zurück in die Welt meiner Erinnerungen.

Meine erste Reise nach Lissabon begann mit einem Paukenschlag. Ich war gerade in meinem Hotelzimmer angekommen und hatte mich für einen Moment aufs Bett gelegt, um mich ein wenig auszuruhen und schon klingelte mein Handy. Es war mein damaliger Chef und seine Stimme klingt immer noch wie ein eisiger Schauer in meinen Ohren:

„Hallo Klaus, es gibt da ein Problem mit deinem Hauptkunden.“

„Hallo Dieter, welches Problem denn?“

„Er mag deine Kampagne nicht mehr. Er will etwas Neues und möchte einen neuen Entwickler, jemand der jünger ist, mit frischen Ideen.“

„Frische Ideen? Ich habe auch frische Ideen. Wir könnten …“

„Warte mal Klaus. Wir haben uns heute morgen in der Geschäftsleitung zusammengesetzt und eine Entscheidung getroffen. Leider muss ich dir mitteilen, dass wir uns von dir trennen werden.“

Irgendwie hatte ich das schon geahnt, als das Handy klingelte, aber als ich diese Worte wirklich hörte, brach die Welt für mich zusammen. Ich fühlte meinen Körper nicht mehr und vor meinen Augen zerfloss das Hotelzimmer ins nebelartige Nichts. Trotzdem wollte ich gefasst klingen und keinen Streit am Telefon beginnen. Also fragte ich ganz direkt:

„Ich nehme an, dass ich auch nicht mehr, wie geplant, die neuen Kunden hier in Portugal besuchen soll, richtig?“

„Richtig. Wenn du wieder zurück bist, wird dir ein Angebot für einen Auflösungsvertrag vorliegen.“

„Mein Rückflug ist erst in vier Tagen und ich kann nicht umbuchen. Was …“

„Mann, mach Urlaub, genieß die Sonne, sing Fado, mach, was du immer schonmal tun wolltest. Guten Rückflug!“ Das Gespräch war beendet.

Ich saß minutenlang auf meinem Bett und konnte mich nicht bewegen. Doch dann schlug die Fassungslosigkeit in Wut um. Ich hatte in all den Jahren wie ein Verrückter gearbeitet, habe große Kunden für die Firma gewonnen, habe Wochenenden durchgeackert. Das ging sogar so weit, dass meine Familie daran zerbrochen ist. Und dann? Frische Ideen! Ich war 51, war das etwa zu alt für frische Ideen?

Ich kochte innerlich. Ich musste raus, einfach raus. Also habe ich mein Handy in den Sessel am Fenster geschmissen und bin einfach aus dem Zimmer gegangen, die Treppe hinunter und raus auf die Straße.

Die Sonne brannte, wie ich es selten zuvor erlebt hatte und es war so hell, dass meine Augen schmerzten. Aber das war mir egal. Ich lief einfach los, irgendwo entlang, folgte den Touristenströmen über Plätze und durch Straßen, ohne zu sehen, was links und rechts von mir war. Meine Gedanken überschlugen sich und ich spielte gefühlte zwei Millionen Möglichkeiten durch, wie es für mich weitergehen könnte.

Doch dann kam ich durch einen großen Torbogen, hinter dem sich ein riesiger, wunderschöner Platz erstreckte. Und am Ende des Platzes lag das Flussufer.

Ich weiß noch, dass die Gedankenspirale in meinem Gehirn plötzlich stillstand und ich nur noch eines dachte: „Wie schön!“ Und plötzlich sehnte ich mich nach drei Dingen aus meiner Jugendzeit zurück: Leinwand, Farbe und Pinsel. Ich hatte während Schule und Studium viel gemalt. Ich wollte sogar Kunst studieren, aber meine Eltern hatten mir das ausgeredet, weil es ‚brotlos‘ wäre. Und nun stand ich hier vor dieser Kulisse, hatte Zeit zu malen, aber keine Utensilien.

Ich lief weiter, hinunter ans Wasser und dann weiter am Flussufer entlang. Viele Menschen waren hier unterwegs, genossen die Sonne, saßen in den Cafés oder einfach nur am Kai und hörten den Straßenmusikern zu. Zeitdruck schien es hier nicht zu geben. Also setzte ich mich auf die schmale Ufermauer und sah den Schiffen zu, die unter der gigantischen Brücke hindurch auf den offenen Atlantik hinausfuhren.

„Ich nehme meine Abfindung und dann werde ich Maler!“, dachte ich mir, mehr im Scherz als ernst, aber ich spann mir bereits mein neues Leben zurecht.

In diesem Moment hörte ich hinter mir eine Autohupe und den scherzvollen Aufschrei einer Frauenstimme. Als ich mich umsah, sah ich eine Dame auf dem Gehweg liegen. Sie hielt sich ihren Knöchel, versuchte aber, wieder aufzustehen. Ein Auto hatte sie wohl übersehen, als sie über die Straße ging. Wahrscheinlich war sie dann losgerannt und dabei mit dem Fuß umgeknickt.

Ich sprang auf, eilte zu ihr und half ihr wieder auf die Beine. Mit dem Auftreten war es jedoch nicht so gut bestellt, also stützte ich sie, so dass sie sich auf die kleine Kaimauer setzen konnte. Sie hatte etwa mein Alter, schulterlange, dunkle Haare und trug ein weißes, elegantes Sommerkleid. Wir konnten uns sehr gut in Englisch verständigen, also bat ich sie, mir ihren Knöchel einmal ansehen zu dürfen. Aber man konnte bereits, auch ohne, dass sie ihren Schuh ausziehen musste, erkennen, dass ihr ganzer rechter Fuß stark geschwollen war.

Sie sagte mir, dass es in der Nähe eine Klinik gäbe. Also half ich ihr, indem ich sie abermals abstützte, bis zur besagten Klinik.

Zwei Stunden und einen dicken Verband später, saßen wir dann in einem der vielen Cafés und unterhielten uns bis in die Abendstunden hinein.

 

Heute, fast 20 Jahre später sitzen wir nun gemeinsam auf dem Sofa und sehen uns alte Werbespots von mir an. Das Leben kann schon verrückt sein.

Meine Frau steht auf. Sie dreht sich zu mir, nimmt meine Hände und zieht mich aus meiner bequemen Sitzhaltung nach oben. Ich umarme sie, drücke ihren Körper fest an mich, bevor wir uns innig küssen. 

Sie öffnet die große Glastür und wir gehen gemeinsam hindurch, hinaus auf unseren Balkon: Vor uns liegt der offene Atlantik. Das Rauschen der Wellen klingt wie Musik in meinen Ohren und die Sonne, die bereits knapp über dem Horizont steht, malt eine glitzernde Straße auf das funkende Wasser. Ein leichter Wind weht mir um die Nase. Er riecht salzig und wohltuend frisch.

Mein Traum war es immer, mir einen Sportwagen zu kaufen und damit über die Königsallee zu fahren, vorbei an Düsseldorfs Modetempeln. Blicke wollte ich auf mich ziehen und zeigen, dass ich es geschafft hatte. Klaus Reiter, Werbeexperte und Macher.

Heute fahren wir einen Kleinwagen, der uns von A nach B und wieder zurück bringt. In die Werbebranche bin ich nie zurückgekehrt. Aber mir war bereits damals am Flussufer klar, dass ich das nicht mehr wollte. Stattdessen verkaufen sich heute meine Bilder hervorragend und auch einen Krimi habe ich schon geschrieben.

Das Leben steckt voller Überraschungen. Und all die Momente und manchmal auch Paukenschläge, die auf einen einprasseln, sollte man nehmen, wie sie gerade kommen und versuchen, sie in etwas Positives für sich selbst und auch für seine Mitmenschen zu verwandeln. Und mit ein wenig Glück malt einem das Leben eine glitzernde Straße, wie die Abendsonne auf den Ozean.

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