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Der vergessene Heizfön
Thema:  Eine kurze Geschichte über
ein Feuer

(ACHTUNG, böse Satire!)

Es war schon spät in der kleinen Bar unten am Eck. Erika, die gleich nebenan wohnte und an diesem Abend vergeblich auf ihre Verabredung gewartet hatte, leerte noch ihr Bierglas, bezahlte und ging zur Garderobe, gleich neben der Tür.

Doch als sie ihre Jacke nehmen wollte, betrat ein großer, gutaussehender Mann die Bar und lächelte Erika an. „Entschuldigung, haben Sie Feuer?“

Erika zog die Augenbrauen zusammen. „Feuer? Hier drin darf man aber nicht Rauchen. Außerdem ist das die wohl älteste Anmache …“

Aber der Mann unterbrach sie: „Nein, ich will nur das Kabel hier reparieren, sehen Sie?“ Er hielt Erika eine Art Kabelbaum unter die Nase. „Ich repariere gerade den Uralt-Fernseher von einem Kumpel, der hier im Nebenhaus wohnt. Schrumpfschlauch habe ich schon, aber den Heizfön habe ich zu Hause vergessen. Mit einem Feuerzeug geht’s aber auch. Hätten Sie eins?“

„Nur das hier.“ Erika holte ein großes, goldenes Feuerzeug aus ihrer Handtasche. „Ich rauche zwar nicht, aber das hier habe ich immer als Glücksbringer dabei. Es gehörte meinem Vater.“

„Super. Und jetzt bringt es mir Glück“, sagte der Mann, „ich heiße übrigens Daniel.“ Er griff nach dem Feuerzeug, aber Erika zog ihre Hand zurück.

„Bitte entschuldigen Sie. Ich lasse es niemanden berühren. Es ist doch mein Glücksbringer. Sie halten den Draht und ich das Feuerzeug darunter.“

Daniel lächelte zufrieden. „Na schön.“

Gesagt, getan: Daniel hielt den Draht vor sich, Erika positionierte das Feuerzeug darunter und zündete. Eine etwa 25 Zentimeter hohe Flamme schoss nach oben und setzte Daniels Ärmel in Flammen.

„Oh Gott, HILFE!“, schrie Daniel, sprang wie verrückt herum und versuchte das Feuer abzuschütteln, aber da war Erika bereits zur Stelle: Sie riss den Feuerlöscher, der neben ihr an der Wand ging, aus der Halterung und nebelte Daniel von oben bis unten ein.

„Oh, Herr Daniel, geht es Ihnen gut?“, fragte sie vorsichtig, aber dieser lag nur keuchend am Boden, eingehüllt in eine weiße Schaumwolke und rang nach Atem. „Kommen Sie, ich bringe Sie ins Krankenhaus. Mein Wagen steht gleich draußen und ich hatte nur ein Glas Bier. Sie half Daniel auf die Beine und bereits zwei Minuten später raste sie mit ihm durch über die Hauptstraße in Richtung städtisches Klinikum.

Daniel heulte auf, als er versuchte, sich mit seiner verbrannten rechten Hand am Haltegriff über dem Beifahrerfenster festzuklammern.

„Ist alles okay?“, fragte Erika aufgeregt.

„JA“, schrie Daniel, „und jetzt gucken Sie nach vorn, verdammt noch mal. ES IST ROT!“

„Was? Wo?“

In diesem Moment wurde Erikas Auto auf der rechten Seite von einem anderen Wagen getroffen und meterweit über die Kreuzung geschoben.

Daniel saß vor Schmerzen stöhnend auf seinem Sitz, während Erika noch halb benommen aus dem Wrack ihres Autos kletterte. Sie sah sich um und ihre Augen wurden größer und größer. „Wie konnte das denn passieren?“, sagte sie leise zu sich selbst, erinnerte sich dann aber an ihren Fahrgast, bückte sich herunter und sah wieder ins Wageninnere. „Herr Daniel, geht’s Ihnen gut?“

„NEIN. Ich glaube, ich habe mir das Bein gebrochen.“
Erika zögerte nicht: Sie zückte ihr Handy und schon ein paar Minuten später, hievten die Sanitäter Daniel auf eine Trage. Doch auf dem Weg zum Rettungswagen kam Erika, die gerade der Polizei ihre Personalien gegeben hatte, herangestürmt. „Wo bringen Sie ihn hin? Sagen Sie mir, wo Sie ihn hinbringen!“

„Ins städtische Klinikum. Und jetzt halten Sie bitte Abstand.“

Aber Erika war nicht zu bremsen. „Er hat sich die rechte Hand verbrannt. Sehen Sie!“ Sie beugte sich über Daniel, griff nach seiner Hand, verlor dabei jedoch im Eifer das Gleichgewicht und kippte die gesamte Fahrtrage mit samt Patienten um.

Daniel fiel auf die Schulter und während sein Schlüsselbein zerbrach, schallte sein Aufschrei wie eine akustische Messerklinge durch die Nacht.

 

Eine Woche später betrat Erika vorsichtig das Zimmer 345 des städtischen Klinikums. Daniel lag in seinem Bett und verdrehte die Augen, als er sie hereinkommen sah.

„Hallo Herr Daniel, wie geht’s Ihnen denn?“
„Super. Mein Arsch singt ‚Beautiful Day‘“

„Ich kann es ja verstehen, dass Sie immer noch sauer auf mich sind, und es tut mir ja auch alles wahnsinnig leid.“

„Sollte es auch. Verbrennungen dritten Grades, Wadenbeinbruch, Schlüsselbeinbruch, Gehirnerschütterung und das innerhalb einer halben Stunde.“

„Wie gesagt: Es tut mir so leid!“ Erika reichte Daniel ein Umschlag.

„Was ist das, ein Scheck?“, fragte Daniel und nahm den Umschlag mit der Linken.

„Ich muss jetzt meine Arbeit machen“, sagte Erika vorsichtig.

„Wenn Sie zur Arbeit müssen, gehen Sie nur. Ich komme schon klar. Ich habe noch ein Bein, eine Schulter, eine Hand und beim Denken helfen mir die Schwestern und Pfleger.“

„Nein, Herr Daniel, Sie verstehen nicht. Ich komme von Ihrer Krankenkasse. Sie sind zwar privat versichert, aber Ihr Tarif hat sich geändert. Haben sie unseren Brief nicht erhalten?“

„Brief? Welchen Brief? Hat der vielleicht auch Feuer gefangen?“

„Der Brief mit den neuen Konditionen. Na ja, egal. Wir zahlen kein Einzelzimmer mehr und für das Schmerzmittel, das sie bekommen, müssen sie leider einen Eigenanteil übernehmen. In dem Umschlag ist die Abschlagsrechnung für die erste Woche Ihres Aufenthalts hier.“

Daniel sah Erika wie versteinert an. Dann zog er ein Steckbecken aus einer Halterung unter seiner Liegefläche hervor und legte den Brief hinein. „Haben Sie mal Ihr Feuerzeug?“

„Aber Sie können doch nicht … Ich lasse niemanden … Es ist mein Glücks …“

„GEBEN SIE ES MIR!“

Erika schwieg und gehorchte.

Daniel nahm das Feuerzeug, zündete den Brief an und sah mit leuchtenden Augen in die tanzenden Flammen, bevor der Feueralarm die Sprinkleranlage auslöste.

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