
Altlasten
Thema: Eine kurze Geschichte über ein altes Haus

Joachim stand vor dem Besprechungsraum im Rathaus der kleinen Gemeinde Golprath und atmete tief durch. Doch dann öffnete er die Tür und ging hinein. Am Konferenztisch saßen drei Herren einer Immobilienfirma, ihr Anwalt, sowie Joachims Kollegen Thomas und Gerwin.
„Bleiben Sie nur sitzen meine Herren, wir kennen uns ja bereits und müssen nicht so förmlich sein.“, sagte Joachim und legte seine mitgebrachten Unterlagen auf den Tisch: „Also, es geht um die Beauftragung Ihrer Firma für die Veräußerung des Grundstücks in der Ahornstraße 26.“
„Können Sie uns noch etwas zur Vorgeschichte der Immobilie erzählen?“, fragte der Anwalt.
„Wie Sie aus den Unterlagen, die wir Ihnen zur übersandt hatten, können Sie ersehen, dass das Grundstück, samt dem darauf befindlichen Haus, einer Dame gehört hatte, die verstorben ist und keine Erben hatte.“, erklärte Thomas: „Also ging das Grundstück …“
„Das wissen wir ja bereits.“, unterbrach ihn der Anwalt: „Uns geht es um eventuelle Altlasten, etc. Was hat vorher auf dem Grundstück gestanden, bevor das Haus gebaut wurde. Wir konnten nichts darüber in den Akten finden.“
„Wir hätten da bereits einen Interessenten, wie Sie wissen.“, warf einer der Makler ein: „Es ist eine große Handelskette, die auch das Grundstück und die Gebäude des alten, dahinter befindlichen Bauernhofs erworben hat. Die planen da ein kleines Shoppingcenter zu bauen. Das würde Ihrer Stadt ein wenig mehr Wohlstand bringen. Aber Altlasten sind nun mal ein Thema.“
„Wohlstand?“, fragte Joachim und musste sich anstrengen, ein sich ein Lachen zu verkneifen: „Uns ist nichts von Altlasten bekannt. Das Haus steht dort seit der Jahrhundertwende. Ist eigentlich ein altes Schmuckstück, aber es ist ja nun schon seit einigen Jahren unbewohnt.“
„Es steht leer?“, wunderte sich einer der Makler: „Als ich vor zwei Tagen da zur Besichtigung hingefahren bin, habe ich laute Musik gehört, die aus dem Haus kam. Also habe ich geklingelt. Mir hat eine junge Dame aufgemacht, so eine im Punk-Stil, mit bunten Haaren und so. Erst hat sie mich gefragt, ob ich ein Bier will und als ich dann gesagt habe, dass ich von einer Maklerfirma komme, hat sie mir die Tür vor der Nase zugeworfen.“
„Punk, sagten Sie?“, fragte Gerwin. „Anfang der 80er Jahre lebte da eine junge Frau, Sabrina … den Nachnamen habe ich vergessen. Sie hatte das Haus gemietet. Die war ziemlich durchgeknallt aber eigentlich total in Ordnung. Leider ist sie nach kurzer Zeit bei einem Unfall gestorben. Schlimme Sache.“
Thomas rutschte bereits unruhig auf seinem Stuhl hin und her: „Also ich gehe jeden Tag an dem Haus vorbei. Und vor etwa einer Woche habe ich lautes Hämmern und Sägen aus dem Inneren gehört. Ich hatte gedacht, dass die Gemeinde noch ein paar Arbeiten erledigen würde, aber jetzt, wo sie das mit Sabrina erzählen…“
Joachim lachte: „Das klingt ganz nach dem alten Franz. Er war einer der Vorbesitzer des Hauses, in den späten 60ern etwa. Er hat praktisch rund um die Uhr irgendwas aus Holz gebastelt und gebaut, sogar richtige, tolle Möbel und hat sie dann auf dem Markt verkauft. Immer, wenn wir damals als Kinder am Haus vorbeigegangen sind, war genau dieses Hämmern zu hören. Wir haben immer unsere Witze darüber gerissen, dass er bekloppt wäre, weil er so viel gehämmert hat.“
„Wenn ich mich recht erinnere, habe ich vor ein paar Tagen Licht im Haus gesehen.“, sagte der Anwalt nachdenklich: „Und am Fenster schien eine alte Frau zu stehen, die uns zu beobachten schien. Aber ich war an dem Tag in einer anderen Sache unterwegs und habe dem keine Beachtung geschenkt.“
Joachim lachte auf: „Oh ja, das war wahrscheinlich die alte Hexe Heidrun.“
„Hexe?“, sagten die drei Makler und ihr Anwalt fast gleichzeitig.
„Das ist nur ein Märchen, dass man sich früher in der Stadt erzählt hat. Heidrun soll eine Kräuterhexe gewesen sein, die ganz früher in dem Haus gelebt haben soll. Sie war eigentlich eine Heilerin und wusste alles über Pflanzen und Naturmittel. Aber einigen Leuten hier in der Gemeinde war sie ein Dorn im Auge und so haben sie das Märchen erfunden, dass sie Leute vergiften und am Fenster Ausschau nach ihrem nächsten Opfer halten würde. Ist natürlich alles Blödsinn.“
„Also ich denke wir sollten das heute Gehörte noch einmal in unsere Überlegungen mit einbeziehen.“, sagte der Anwalt und stand auf: „Wir rufen Sie für einen neuen Termin an.“
„Aber Sie werden doch solche Schauergeschichten nicht glauben, meine Herren“, fragte Joachim lachend.
„Wir rufen Sie an!“
Am Abend saß Joachim dann in seinem Fernsehsessel im Wohnzimmer und löste eines seiner geliebten, großen Kreuzworträtsel, als seine Frau Sarah die Tür aufschloss und hereinkam: „Hallo Schatz, hat’s geklappt? Sag schon!“
Joachim legte sein Rätsel und den Kugelschreiber beiseite, stand auf und ging mit einem Strahlen im Gesicht zu Sarah hinüber. Er küsste sie und umarmte sie so fest er konnte: „Und wie das geklappt hat. Es nichts über gute Schauspieler. Die kleine, die du als Sabrina engagiert hast, muss einfach perfekt gewesen sein.“
Sarah schmunzelte: „Es hat eben einen Vorteil, wenn man mit einer Casting-Agentin verheiratet ist.“
„Die Typen haben mit jeder Geschichte mehr Schiss bekommen. Sogar Thomas hat’s geglaubt. Auf jeden Fall ist mein Geburtshaus erstmal gerettet. Und wenn wir mal im Lotto gewinnen sollten, kaufen wir es!“